Westdeutscher Rundfunk
Interviewed by Björn Gottstein
February 25, 2008
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Björn Gottstein:
Es geht eher um deine experimentellen Arbeiten, weniger um dich als Rockschlagzeuger, auch wenn ich bestimmt auch darauf zu sprechen kommen werde. Und die erste Frage hat gleich etwas damit zu tun. Es muss für dich einen Zeitpunkt gegeben haben, als klar wurde, dass Rockmusik nicht unbedingt das alleinige und entscheidende Paradigma deines Lebens sein wird, sondern dass es auch noch andere Interessen gibt. Wann war das und wie ist das geschehen?
Jason Kahn:
Ich denke, das war so um 1993 in Berlin. Ich bin dort 1990 von Los Angeles aus hingezogen. Ich hatte damals viele Freunde in der elektronischen Musikszene, also Produzenten, DJs, Clubbetreiber, und ich denke das hat mit ein bisschen einen Kick gegeben, etwas mit der Elektronik anzufangen; andererseits als Schlagzeuger mein primäres Interesse war immer der Klang des Instruments. Das heißt ich habe mich immer fasziniert, nicht nur für Rhythmen oder Beats oder wie auch immer, sondern auch eigentlich für Klang – einer Trommel oder eines Beckens. Und von daher habe ich angefangen mit Elektronik diese Klänge zu erforschen, quasi als Lupe, die Klänge unter die Lupe zu nehmen, mit dem Sampler, später mit dem Computer, um damit zu arbeiten.
Björn Gottstein:
Wenn man diese Geschichte so hört, du bist Schlagzeuger, du bist Anfang der Neunzigerjahre in Berlin, du sprichst von der Techno-Bewegung, da stellt sich die Frage: Techno selbst hat dich gar nicht so beeinflusst? Das hast du einfach zur Kenntnis genommen, aber nicht selber machen wollen?
Jason Kahn:
Doch, ich würde sagen, ich war sehr beeinflusst vor allem vom Grassroots-Aspekt dieser Bewegung, und die Musik, wie gesagt, viele Freunde waren in dieser Bewegung und ich war oft in den kleinen Clubs unterwegs, zum tanzen oder um Freunde zu besuchen, und auch vom sozialen Aspekt her fand ich das sehr inspirierend, wie die Leute damals alle in die Hände gegriffen haben, um eigene Sachen aufzubauen, kleine Labels oder Events, Clubs und so weiter. Ich fand es wirklich sehr inspirierend.
Björn Gottstein:
Das scheint eine Art Utopie gewesen zu sein, die einem das Gefühl gegeben hat, es kann tatsächlich auf dieser Grasswurzel-Ebene ein eigenes künstlerisch-ökonomisches Konstrukt funktionieren. Ich habe das nicht selbst miterlebt. Ich bin erst 1998 hergezogen, aber manche haben heute noch Tränen in den Augen, wenn sie davon erzählen. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die erste Veröffentlichung, die ich von dir kenne, auf der du das, was du gerade beschrieben hast, nämlich die akustische Lupe und den Klang und vor allem den Schlagzeugklang unter die Lupe nehmen, ist eine CD auf deinem eigenen Label, Drums & Metals, ist das die erste CD, auf der du das verfolgst? Oder hast du vorher diesen Aspekt schon in deiner Arbeit verfolgt?
Jason Kahn:
Eigentlich war Analogues die erste CD, die ich aufgenommen habe. Und Drums & Metals wurde etwa sechs Monate später aufgenommen. Analogues habe ich in Genf aufgenommen mit hauptsächlich Sampler-Aufnahmen aus der Stadt Genf. Und die beiden CDs wurde zur gleichen Zeit veröffentlicht. Und es ist ein bisschen verwirrend. Eigentlich Drums & Metals ist eine reine akustische Arbeit, aber ich habe bestimmte Charakteristiken aus der elektronischen Musik übernommen, für die Komposition auf der CD. In dem Sinne ist es für mich fast eine elektronische Arbeit, obwohl es mit akustische Schlagzeug passiert.
Björn Gottstein:
Das heißt einerseits gibt es diesen Einfluss der elektronischen Ästhetik bei der Ausarbeitung der Stücke, zum anderen haben die etwas sehr Strenges. Du hast gerade von Komposition gesprochen. Sind die Stücke wirklich bis zu einem gewissen Grade komponiert? Hast du ein Layout, ein Konzept, ein Raster gehabt, oder hast du das spontan aufgenommen.
Jason Kahn:
Nein, bei Drums & Metals war alles, nicht schon auf Papier komponiert, aber ich habe die Stücke schon geübt und arrangiert und es war eine Struktur da. Ich bin nicht einfach ins Studio gegangen und habe drauf los improvisiert. Das war auch mein Ziel, also Komposition für Schlagzeug zu machen, die nicht die Klischees von Schlagzeugsolo entsprochen haben. Das heißt meistens, wenn man an Schlagzeugsolo oder Perkussionssolo denkt, ist es: die Leute flippen aus oder es gibt einen Schlagzeugkrieg, aber ich wollte etwas bestimmtes machen, das auf den Klang des Instruments gezielt war.
Björn Gottstein:
Es ist sehr reduziert, "streng" hatte ich glaube ich schon gesagt, für mich hat es manchmal fast etwas Mathematisches. Ich weiß nicht, ob dem wirklich so ist?
Jason Kahn:
Nein, ich war eigentlich sehr schlecht in Mathe in der Schule. Ich denke vor allem zu diesem Zeitpunkt war ich interessiert an Minimal Techno, an allem was damals aus Berlin und früher aus Detroit kam, und das ist vielleicht ein bisschen ironisch, ich habe nie wirklich Techno-Platten gemacht, und ich habe mich nie wirklich dafür interessiert, aber Drums & Metals, würde ich sagen, hat eine direkte Verbindung zu dieser Musik aus der Technoszene, zum Beispiel frühe Neunzigerjahre, späte Achtzigerjahre in Amerika.
Björn Gottstein:
Das kann man gut nachvollziehen. Das macht plötzlich alles sehr viel Sinn. Du hast erwähnt, dass Analogues fast zeitgleich, kurz davor erschienen ist. Auf Analogues arbeitest du mit Field Recordings. Ich habe das Gefühl mit diesen beiden CDs stehen die beiden Aspekte, um die du deine Arbeit erweiterst, da, nämlich einerseits die Arbeit mit elektronischen Konzepten oder Mitteln und das Field Recording, das dich plötzlich auch interessiert hat. Das ist natürlich was anderes, als einen Schlagzeugklang zu untersuchen, aber es hat trotzdem was mit akustischer Mikroskopie zu tun. Wie kam es dazu?
Jason Kahn:
Genau. Es hat einerseits mit akustischer Mikroskopie zu tun, andererseits habe ich mich zu diesem Zeitpunkt sehr für die Musik aus Frankreich interessiert, die so genannte Musique concrète, wie Pierre Henry, Pierre Schaeffer, Luc Ferrari und so weiter. Und das war vielleicht eine Art für mich, das zu erforschen. Es gab allerdings auf Analogues sehr viele Perkussionsaufnahmen, die teilweise sehr runtergepitcht waren oder bearbeitet, die sind vielleicht nicht erkennbar als Perkussion oder Schlagzeug, es gab auch andere Aufnahmen, die verwendet worden waren, zum Beispiel Klavier, es war nicht nur Field Recordings, aber es war auch nicht nur Perkussion, es war wirklich für mich auch Komposition, aber diesmal vielleicht mehr mit elektronischen Aspekten zu tun.
Björn Gottstein:
Das heißt abgemischt und arrangiert hast du es hinterher am Computer? Oder hast du es live zusammengefahren? Wie muss man sich den Arbeitsprozess vorstellen?
Jason Kahn:
Eben nicht. Das war live. Also ich habe im Studio und draußen Aufnahmen gemacht und ich habe alles dann am Sampler editiert und abgespielt und direkt zu DAT aufgenommen. Das heißt, das war eine 2-Spur-, Stereoaufnahme, direkt, ohne Nachbearbeitung am Computer, so ähnlich wie damals die Leute in Detroit ihren Techno aufgenommen haben, aber damals vielleicht mit Reel-to-Reel, ich habe es ich Echtzeit mit Sampler jede Komposition mehrmals durchgespielt und irgendwann habe ich ein Resultat gehabt und dann einfach aufgenommen.
Björn Gottstein:
Das heißt auch die Field Recordings sind tatsächlich live eingespielt per Sampler und Tastatur, wie alles andere auch?
Jason Kahn:
Ja genau. Ich hatte damals ein elektronisches Schlagzeugpad, ich weiß nicht, wie das jetzt heutzutage heißt, es hat acht Felder drauf, jedes könnte ein Sample abspielen, ich habe damit den Sampler gespielt, wie mit einer Tastatur, aber eben für Schlagzeug.
Björn Gottstein:
Das heißt, du hast die Samples per Trommelschlag abgerufen.
Jason Kahn:
Genau
Björn Gottstein:
Es gibt eine andere CD, auf der die Field Recordings, glaube ich, das allein zu Hörende sind, das ist Songs for Nicolas Ross. Ist das richtig?
Jason Kahn:
Das ist richtig. Das sind eben nochmals Feldaufnahmen. Aber oft glauben Leute, dass ist eins zu eins, das heißt, ich habe das irgendwie aufgenommen und einfach auf die CD getan, aber das sind eigentlich alles Kompositionen, die ich auf dem Computer zusammengestellt habe. Ich habe über die Jahre immer hier und da, wohin ich gereist bin, Aufnahmen gemacht, und dann hatte ich das Angebot, diese CD zu machen, und da habe ich dann angefangen, alle Aufnahmen zusammen zu schneiden, um zu sehen, wie alles zusammen passt. Und daraus sind diese kurze Kompositionen entstanden; und für mich sind diese Kompositionen von der Länge her eher so etwas wie ein Schnappschuss mit der Fotokamera. Also kleiner Blick in die Zeit.
Björn Gottstein:
Sie wirken sehr spontan. Das ist interessant, wenn du sagst, dass sie bearbeitet und auch arrangiert sind, weil auch aufgrund der Kürze wirken sie so, als hättest du das Mikrofon einfach an- und wieder ausgemacht. Ich habe in einem älteren Interview gelesen, dass da auch ein Ort deiner Kindheit mit drauf ist. Ist das richtig?
Jason Kahn:
Auf Songs for Nicolas Ross? Ja, das ist richtig. Es sind viele Aufnahmen aus Los Angeles zum Beispiel. Oder vielleicht auch New York. Ich bin in New York geboren und in Los Angeles aufgewachsen. Bei vielen dieser Aufnahmen sind Aufnahmen aus Los Angeles dabei, aber nicht aus meiner Kindheit. Aber was drauf ist, ist meine Tochter, also die Älteste, sie ist auf der CD, man hört sie singen.
Björn Gottstein:
Das hat fast etwas von einem Tagebucheintrag. Das ist auch sehr persönlich. Ich weiß auch nicht, ob alles Aufnahmen so persönlich sind, ob das Orte sind, mit denen du etwas assoziierst. Oder sind die anderen Aufnahmen weniger emotional?
Jason Kahn:
Eher neutral. Aber teilweise vor Ort aufgenommen, wo ich eine Verbindung zu der Stadt hatte, oder ich weiß auch nicht. Klar, wenn man über seine Tochter redet, dann ist es eine direkte emotionale Verbindung, zumindest für mich.
Björn Gottstein:
Ich glaube für die meisten Menschen, das will ich doch sehr hoffen.
Jason Kahn:
Für sie vielleicht nicht.
Björn Gottstein:
Für deine Tochter?
Jason Kahn:
Genau. Ich muss sie mal fragen.
Björn Gottstein:
Nicolas Ross. Ist das jemand, den es gibt, oder ist das ein erfundener Name?
Jason Kahn:
Nein, das ist der Sohn des Plattenlabelinhabers. Rossbin-Records. Der hatte einen Sohn und wollte ursprünglich jedes Jahr eine CD herausbringen zum Geburtstag seines Sohnes. Ich glaube meine war die erste und letzte CD. Ich kann nicht sagen warum, aber das war der Anlass. Und sein Sohn heißt Nicolas Ross.
Björn Gottstein:
Ich hatte schon überlegt ob Ross und Rossbin etwas miteinander zu tun haben. Ist denn für dich die Songs for Nicolas Ross ein Extrem deiner Arbeit? Ich würde das so sehen. Dass du immer wieder eine Richtung verfolgst,, bis es nicht mehr weitergeht: hier der Umgang mit Fieldrecordings, aber auch die Abstraktion des Schlagzeugklangs, das Flächige, wie in Timelines zum Beispiel, wo du glaube ich sogar andere dein Stück spielen lässt. Du hast nur die Partitur realisiert? Oder wie ist das entstanden?
Jason Kahn:
Timelines. Nein, da bin ich drauf. Ich habe die Partitur gemacht und habe auch mitgespielt. Allerdings gibt es eine spätere Version, die letztes Jahr in New York aufgenommen wurde, und da spiele ich nicht mehr mit.
Björn Gottstein:
Und wie sieht diese Partitur aus?
Jason Kahn:
Die erste Partitur von Timelines, die CD-Version, die ist sehr grafisch, sie hat Hinweise, wie man spielen soll, dynamische Hinweise, wo man aufhören soll, anfangen. Es ist sehr einfach, eine sehr schlichte Partitur, und hat nichts mit konventionellen Noten zu tun. Die zweite Version, die jetzt letztes Jahr in New York stattgefunden hat, die ist rein grafisch und ohne Text, einfach eine rein grafische Arbeit, wie eine von den CD-Hüllen von cut zum Beispiel. Wiederholende Muster, geometrisch, also sehr abstrakt, ich war interessiert zu sehen, wie die Leute das interpretieren, ohne das abzusprechen. Es passiert immer noch alles auf einer Zeitlinie, einer Timeline. Die letzte Version war allerdings zwei Stunden lang.
Björn Gottstein:
Wie gehst du dann vor. Ich habe die Cover hier vor mir liegen. Das Cover von Timelines ist die Partitur zu Timelines?
Jason Kahn:
Nein, eben nicht.
Björn Gottstein:
OK. Alles klar. Wieso hast du denn überhaupt das Bedürfnis gehabt, Dinge grafisch zu notieren. Eigentlich zeichnet sich der Bereich, in dem du tätig bist, dadurch aus, dass man eben nicht notiert, sondern frei spielt oder zusammen Dinge erarbeitet. Woher kam das Bedürfnis ursprünglich?
Jason Kahn:
Einerseits bin ich sehr orientiert an einer grafischen Arbeit. Ich habe früher in Los Angeles als grafischer Künstler gearbeitet, Layoutartist, und dann irgendwann habe ich wieder angefangen mit cut so zu arbeiten nach einer langen Pause, und weil ich nicht wirklich traditionell Partitur schreiben kann also mit Noten und alles, habe ich gedacht, ein Weg wäre, das grafisch zu machen. Und ein zweiter Aspekt, warum es mich interessiert hat, die Gruppen, für die ich das mache, sind Leute, die ich kenne. Das heißt, es ist für mich eine soziale Arbeit, eine soziale Gelegenheit. Ich bringe Leute zusammen, die ich kenne. Ich kenne wie sie spielen, wie sie als Menschen sind, und ich möchte schauen, wie wir auf ein Ergebnis kommen, wo ich das steuere. Also ich übernehme die Verantwortlichkeit, ich bin in diesem Sinne ein Komponist, aber weil ich nicht wirklich eine Partitur schreiben kann, versuche ich mit meinen Mitteln das zu machen.
Björn Gottstein:
Und wie gehst du dabei vor? Du hast jetzt schon das Muster-hafte daran beschrieben. Hast du denn schon eine Ahnung, wer welche Linie sein wird, dass Norbert Möslang die ober Linie ist und Tomas Korber vielleicht die untere? Oder hast du Proportionen, das du sagst, diese Linie soll immer zwei Zentimeter und dann kommen drei Zentimeter Pause und dann wieder zwei Zentimeter Klang?
Jason Kahn:
Ja, das ist eine gute Frage. Ich müsste dir einfach die Partitur schicken, aber ich kann einfach sagen, es sind zum Beispiel sechs Linien und jeder hat eine Linie für sich. Es ist nicht so wichtig, wer auf dem ersten Rang steht, es ist eher wichtig, wann sie aufhören, wann sie anfangen in der Zeit. Und ich überlege das, wenn ich am Komponieren bin, ich überlege das wirklich: das Gleichgewicht, wie hängt das alles zusammen, nicht nur vom Klang eines Instruments, sondern auch vom Spielcharakter eines Menschen, also jeder spielt so anders, es ist eigentlich nicht so wichtig, was für ein Instrument sie spielen, sondern wie sie als Person sind.
Björn Gottstein:
Gut, das hast du dann auch schon von Ohren, was für ein Klang das ungefähr ist, den diese Künstler komponieren werden?
Jason Kahn:
Ja. Ich würde sagen schon. Ich habe bis jetzt immer solche Arbeiten gemacht nur für Leute, die ich kenne. Ich werde in Los Angeles eine Arbeit machen im April, mit Ulrich Krieger, das ist ein Saxofonist, der früher in Berlin gewohnt hat und jetzt in Los Angeles ist, Olivia Bloch und Mark Trayle, er ist einer der Pioniere der Computermusik, und das wird ein Quartett, gespielt mit grafischer Partitur. Und ich weiß natürlich ungefähr, wie sie alle klingen, ich kenne Uli lange und Olivia und Mark, ich kenne seine Musik jetzt auch mittlerweile. Das heißt, ich kann nicht einfach eine Partitur jetzt machen, wie Cornelius Cardews Treatise, wo beliebig alle Leute spielen können. Es ist für eine bestimmte Gruppe von Menschen gemacht jedesmal.
Björn Gottstein:
OK, und das ist bei Timelines auch der Fall?
Jason Kahn:
Genau.
Björn Gottstein:
Wo ich mich auch wundere, wie das entstanden ist, ist die CD Fields. Dort steht auch "graphics: Jason Kahn" und dann hast du die Musik alleine gemacht? Spielst du da eine eigene Partitur.
Jason Kahn:
Nein, das sind Kompositionen.
Björn Gottstein:
Inwiefern Kompositionen. Vergleichbar mit den Stücken auf Songs for Nicolas Ross?
Jason Kahn:
Genau. Ich würde sagen, wie Tape Musik damals, einfach Kompositionen am Computer zusammengestellt im Mixprogramm. Also wie ich das verstanden habe, früher haben Pierre Henry und Pierre Schaeffer mit Reel-to-Reel-Aufnahmegerät zusammengeschnitten und dabei Kompositionen gemacht und ich habe das mit der Festplatte. Und Fields hat sehr viele Quellen, also Klangquellen, es sind teilweise Sachen im Studio aufgenommen, teilweise Feldaufnahmen, rein elektronischer Klänge, die ich am Synthesizer entwickelt habe. Auf jeden Fall, die Kompositionen entstehen auf der Festplatte, indem ich alle Klänge zusammenstelle.
Björn Gottstein:
Spielt die Spontaneität dabei eine Rolle? Hast du schon etwas im Ohr? Weißt du schon, welche Klänge du nimmst? Nimmst du manchmal andere Klänge? Schmeißt du welche Weg? Probierst du viel rum am Computer oder ist die Arbeit am Computer nur noch die Ausführung dessen, was du vorher schon gewusst hast?
Jason Kahn:
In den meisten Fällen weiß ich schon ungefähr, was ich suche. Es ist nur nie sicher, dass das was ich suche, auch das ist, was ich will. Das heißt, es gibt immer Überraschungen. Und viele von den Aufnahmen oder Kompositionen sogar bei Fields waren sozusagen eins zu eins im Studio aufgenommen. Das war eine Live-Elektronik-Komposition zwischen Synthesizer, Analogue Synthesizer und Perkussion. Und ich habe vielleicht drei, vier Stunden lang im Studio rumgepatched, Sachen ausprobiert und dann irgendwann ist daraus eine Komposition entstanden. Anders herum habe ich manchmal Aufnahmen, also Feldaufnahmen oder rein elektronische Aufnahmen und dann habe ich sie zusammengeschnitten, und in den Fällen wusste ich auch ungefähr wo es lang geht, aber es gab trotzdem Überraschungen und vielleicht daraus entstehen die interessanteste Komposition für mich.
Björn Gottstein:
Also da, wo man auf etwas stößt, womit man nicht gerechnet hat.
Jason Kahn:
Ja, genau.
Björn Gottstein:
OK. Ich würde gerne noch ein wenig über deine Arbeit als Schlagzeuger, über dein Selbstverständnis als Schlagzeuger sprechen. Du hast vorhin gesagt, dass du etwas wolltest, das nicht der klassischen Idee des Schlagzeug entspricht, nämlich das Ausflippen und das Battling und so was. Und trotzdem hast du ja genau das lange praktiziert. Nicht, dass du ein ausgeflipptes Schlagzeug gespielt hättest, aber doch ein sehr athletisches Rockschlagzeug gespielt. Fehlt dir das nicht manchmal, die reine Physis des Spiels?
Jason Kahn:
Das ist eine interessante Frage. Ich spiele immer noch Schlagzeug, allerdings nur für mich. Also wenn ich von Schlagzeug rede, meine ich ein Drumset. Und eigentlich fehlt mir nicht so das Athletische, wie du meinst, oder das Sportliche, vielleicht was mir fehlt ist einfach: in einer Gruppe spielen und das Instrument in Verbindung mit anderen Instrumenten. Im Moment habe ich kein Instrument, wo ich finde, das Schlagzeug passt. Ich schließe das nicht aus. Ich spiele immer noch gerne Schlagzeug. Allerdings: ich würde meinen Stil von damals nicht als sehr athletisch bezeichnen, sondern eher als teilweise sehr reduziert oder auf die Komposition anderer Leute gezielt. Aber ab und zu bin ich auch ausgeflippt.
Björn Gottstein:
Athletisch war jetzt nicht gemeint im Sinne des Animals in der Muppet Show. Eher vom Drive her ...
Jason Kahn:
... die Lautstärke.
Björn Gottstein:
War denn die Platte mit cut, Popular Music Will Live Forever, die letzte, auf der du als Schlagzeuger aufgetreten bist?
Jason Kahn:
Das ist möglich. Ich denke schon. Ich habe schon bei anderen Projekten seither Schlagzeug eingesetzt, Liveprojekte, wo ich eingeladen wurde, aber ja, das war das letzte Projekt mit einem Schlagzeug so im Bandcontext.
Björn Gottstein:
Das ist noch ein Erbe der Berliner Zeit. Zumindest hast du den Gitarristen Birger Löhl in Berlin kennengelernt?
Jason Kahn:
In Hannover eigentlich. Der kam aus Hannover. Und der Saxofonist Gregor Hotz ist eigentlich aus der Schweiz. Das ist mein Übergang in die Schweiz. Ich weiß es nicht. Er kommt aus Zürich.
Björn Gottstein:
Ich muss noch mal was zu diesen Bands wie Universal Congress Of und Cut fragen. Gab es da ein Selbstverständnis dessen, wie man sich innerhalb der Rockszene platzieren wollte, was man vorhatte. SST war ein besonderes Label in den USA, die besondere Bands veröffentlicht haben. Gab es eine Absprache, das man Rockmusik machen wollte, die nicht einfach nur Rockmusik ist?
Jason Kahn: Also damals in den Achtzigerjahren, nein, es gab keine Absprachen. Wir waren einfach interessiert an bestimmten Dingen, Freejazz oder harmolodischer Jazz, keine Ahnung, wie man das nennen will, und es war nicht eine Strategie, wie kommen wir rein, wie können wir uns einen Namen machen, es war das reine Interesse. Ich fand damals, in den Achtzigerjahren, ich fand alles etwas offener als jetzt. Zum Beispiel als ich die Gruppe Cut hatte, wir hatten Mühe, eine Niche zu finden, oder einen Ort zum spielen. Das hängt vielleicht damals mit, kann man sagen: dem Niedergang der akustischen Musik zusammen. Elektronische Musik war sehr beliebt überall. Man hört nur noch Tanzmusik. In Rockgruppen zu spielen oder komischen Rockgruppen zu spielen, war nicht der einfachste Weg. Aber auch mit Cut, es gab nie eine Absprache, das war einfach Interesse. Wir hätten es uns viel leichter machen können, wenn wir was anderes erfunden hätten.
Björn Gottstein:
Gerade This is Mecolodics ist nach wie vor ein Manifest. Insbesondere die Verbindung des SST-Sounds mit dem Jazz, was es sonst so nicht gab.
Jason Kahn:
Ich denke, viele Leute haben den Humor dieser Platte völlig verpasst. Das war alles nicht so ernst gemeint. Wir waren ziemlich schockiert, als wir nach Europa kamen. Die Journalisten, die haben Fragen gestellt! Völlig ernste Fragen, wie Sachen entstanden sind. Ich weiß auch nicht. Es war eine völlig andere Ebene in Europa, wie die Leute alles verstanden haben, als in Amerika. Natürlich in Amerika wurden wir völlig ignoriert.
Björn Gottstein:
Auch eine Art, sich damit auseinander zu setzen. Es gibt offenbar eine Ebene des Augenzwinkerns, des Uneigentlichen auf diese Platte.
Jason Kahn:
Ganz sicher.
Björn Gottstein:
War das damals für dich eine natürliche Entscheidung, aus Los Angeles wegzuziehen und nach Europa zu gehen?
Jason Kahn:
Nein, eigentlich nicht. Ich war schon fertig mit Los Angeles. Ich habe in der Gruppe, Universal Congress of, auf der Tour 1989 so gut wie aufgehört, obwohl ich noch mal 1990 eingesprungen bin, um einen Schlagzeuger zu ersetzen, nur für ein paar Konzerte. Aber eigentlich war ich fertig damit und ich wollte nicht mehr in Los Angeles leben. Und dann habe ich überlegt wohin. Ich habe damals gesagt New York. Aber am Ende dieser Tour im November 89 habe ich Freunde in Berlin besucht. Und das war eigentlich zu dem Zeitpunkt sehr klar, dass ich nach Berlin ziehen wollte. Einerseits das war eine so dynamische Stadt, das hat so gesprüht vor Energie und Optimismus. Und andererseits es hat viel Möglichkeit, meine musikalischen Interessen zu verfolgen, gegeben. Ich habe mich damals sehr stark für die frei improvisierte Musik interessiert, und es gab zum Beispiel in Ostberlin extrem viele Orte wo man spielen konnte und ich habe sofort Anschluss gefunden. Und das war eigentlich der Grund. Ich hatte keinen Plan. Das war eigentlich spontan.
Björn Gottstein:
Und hast du so etwas in Zürich auch noch mal gefunden? Zürich ist ja nun kein Mekka der Avantgarde, wird aber unterschätzt, oder?
Jason Kahn:
Es gibt überall, wo man ist, interessante Leute, die interessante Arbeit machen. Zürich ist nicht mit Berlin zu vergleichen natürlich, es ist viel kleiner. Es ist nicht so viel los hier wie damals in Berlin, aber ich habe schon einige Kollegen hier gefunden, mit denen ich arbeite. Es ist schwer zu sagen, ich denke für die Größe ich Zürich sehr aktiv und es hat viele Möglichkeiten. Ich finde allgemein jetzt in der Musik, es ist wie eine Übergangsphase, sehr viele Sachen in Bewegung und sehr viele Leute, die sich neu orientieren, und ich denke, es ist egal, wo man lebt, zumindest meiner Erfahrung nach, von Reise und so, es ist nicht wirklich klar, wie damals in den Neunzigerjahren, wo es lang geht. Es ist nochmals viel offener, aber es hat viel mehr Fragezeichen. Was ich interessant finde.
Björn Gottstein:
Inwiefern ist es egal, wo man lebt? Weil du glaubst, dass du überall Menschen findest, mit denen du kollaborieren könntest, und deine Arbeit auf jeden Fall erledigen kannst?
Jason Kahn: Eher das. Es gibt natürlich Orte, wo man niemanden findet. Wenn man in einer Kleinstadt in der Wüste lebt, aber ich rede von den Großtstädten in Europa und Amerika. Ich denke, ich würde überall jemanden finden. Es ist erstaunlich. Ich bin viel gereist in den letzten Jahren und überall kann man jetzt diese Art Musik spielen, Konzert geben. Es hat sich, würde ich sagen, in den letzten zehn Jahren sehr verbreitet, überall der Welt. Egal ob man in Korea ist oder Japan oder Amerika. Es ist eigentlich viel Interesse für diese Art von Musik, die ich mache.
Björn Gottstein:
Findest du es eigentlich erstaunlich, dass so viele Menschen solche Musik machen. Es ist ja schon ein Extrem und manchmal auch schwer zu vermitteln. Und es gibt wirklich, wie du gerade schon gesagt hast, eine große Reihe von Menschen, die im experimentellen Arbeiten im abstrakten Geräuschbereich tätig sind. Ist das für dich überraschend?
Jason Kahn:
Leuten, die solche Musik gemacht haben. In den Achtzigerjahren zum Beispiel, das war so eine Kassetten-Bewegung, Leute haben Kassetten-Label betrieben und es gab schon ein Netzwerk, zum Beispiel die ganzen Merzbow-Sachen, die auf Kassette rausgekommen sind damals. Aber ich denke der größte Unterschied ist eigentlich, dass es jetzt Internet gibt. Als ich klein war, zum Beispiel 16, und wir wollten etwas erforschen, mussten wir in einen Plattenladen gehen und wir mussten in ein Buch schauen und eine Katalognummer finden und direkt an das Recordlabel schreiben und dann warten, drei Wochen vielleicht, bis eine Antwort kam, und es ging alles viel langsamer. Heute muss eigentlich nur ins Internet schauen und da findet man sofort alles. Und das hat einerseits Auswirkungen auf Informationsverbreitung, das heißt viele junge Leute kommen viel schneller an viel mehr Information ran. Wenn man spielen möchte oder ein Konzert organisieren möchte, ist es auch leichter, ein Netzwerk aufzubauen und Leute zu finden. Und das beschleunigt sich immens, jedes Jahr wird es mehr und mehr, und es ist erstaunlich, wo man jetzt spielen kann. Ich war letztes Jahr in Südamerika und Mexiko und das war echt unglaublich. Es gibt überall, egal ob in Lima oder Bogota, es gibt Leute, die sich für solche Sachen interessieren.
Björn Gottstein:
Das ist wirklich erstaunlich. Ich müsste vielleicht noch einmal etwas zur Qualität der Klänge fragen. Es ist ja häufig die Frage gestellt worden, warum diese Art von Musik zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden ist. Du hast Vorläufermodelle dieser Musik erwähnt, ich würde sagen, dass es aber Anfang der Neunziger einen Technik-bedingen Paradigmenwechsel gegeben hat in der freien Improvisation. Wenn man die Musiker der so genannten Onkyo-Bewegung fragt, woher diese Musik kommt, dann gibt es unterschiedliche Antworten. Eine davon ist, dass man dem Informationsüberfluss des Alltags in Tokio mit einer Gegenbewegung der totalen Reduktion begegnen wollte. Wenn man Leute aus Wien fragt, sagen die, dass der Mauerfall und die Öffnung gen Osten ein neues Bewusstsein mit sich gebracht hätte. Sind das Gedanken, die du teilst? Oder bist eigentlich ohnehin nur am Klang interessiert.
Jason Kahn:
Primär bin ich am Klang interessiert. Aber was die Japaner betrifft. Ich meine, wir haben damals eine der ersten so genannten Onkyo-CDs aufgenommen. Das hieß Improvisations-Meeting at Bar Aoyama. Und Bar Aoyama war eine ganz winzige Bar, ich weiß nicht mehr genau den Stadtteil, das war ganz klein, mit ganz wenig Publikum, vielleicht zehn Leute. Und damals das war mit Tetuzi Akiyama und Taku Sugimoto und Toshi Nakamura. Das erste Konzert haben sie anlässlich meiner Japan-Tournee organisiert. Und wir haben uns alle dort getroffen. Wir kannten uns alle schon vorher, hatten miteinander schon vorher gespielt. Und wir haben nie darüber gesprochen, warum wir so spielen oder wie wir spielen wollen. Das war wirklich ohne Absprache. Und das war nicht weil niemand Englisch konnte, alle konnten schon Englisch und sehr gut sogar. Aber ich denke, das hat uns nicht so interessiert. Hauptsächlich haben wir uns für die Musik und für das Zusammenspiel interessiert. Und das, was danach kam, der Begriff Onkyo, es gab verschiedene Labels für diese Musik, ich weiß nicht und wir wissen selber nicht, wo sie entstanden sind, aber letztlich ist es nicht so wichtig für mich, sondern in erster Linie, wie du schon meintest, der Klang.
Björn Gottstein:
Die Arbeit mit japanischen Musiker zieht sich durch all die Jahre hinweg. Ich glaube seit 98 ungefähr, wenn nicht schon länger, dass du mit Toshimaru Nakamura, Utah Kawasaki und solchen Musikern arbeitest. Ist das für dich ein wichtiger Einfluss gewesen? Mich interessiert vor allem die Arbeit mit Toshimaru Nakamura, der ja im Laufe der Jahre die Gitarre gegen das Mischpult eingetauscht hat. Wie ist das zustande gekommen, die erste Repeat-Platte und wie unterscheiden die sich voneinander?
Jason Kahn:
Die erste haben wir in Berlin aufgenommen. Die erste ist eigentlich die zweite. Die erste ist nie rausgekommen. Und diese erste, die nie rausgekommen ist, da hat Toshi nur Gitarre und ich nur akustisches Schlagzeug gespielt. Und danach haben wir angefangen, mit Elektronik zu arbeiten. Aber es hatte vielleicht von der Ästhetik her oder von der Sprache her nicht viel mit Elektronik zu tun, als mit eher konventioneller improvisierter Musik aus diesem Zeitraum, das heißt Mitte der Neunzigerjahre, Anfang der Neunzigerjahre. Und das war die erste veröffentlichte Repeat-CD, die hieß auch Repeat. Bei der zweiten haben wir dann völlig, würde ich sagen, die Ästhetik der elektronischen Musik übernommen. Das heißt, nicht nur dass wir elektronische Instrumente gespielt haben, dass wir mit Wiederholungen und Loops gearbeitet haben. Und bei der zweiten Aufnahme hat Toshi dann mehr oder weniger aufgehört, Gitarre zu spielen, und ich habe dasSchlagzeug sehr reduziert auf Basstrommel, Snare und Sampler. Und die dritte, das war in Frankreich aufgenommen, das ging mehr in diese Richtung. Ich habe auf der dritten CD Computer gespielt, kein Sampler mehr, und Schlagzeug und Toshi eben nur Sampler. Das war in Frankreich aufgenommen, halb im Studio aufgenommen, Improvisationen, halb Remixes von diesen Improvisationen. Das heißt halb improvisiert, halb komponiert. Und das war die letzte CD von diesem Projekt.
Björn Gottstein:
Also schon so, dass beide Musiker das ursprüngliche Instrument hinter sich lassen und gemeinsam einen neuen Weg gehen? Wobei Toshimaru Nakamura diesen Weg auf besonders radikale Weise verfolgt hat. Während du das Schlagzeug immer noch als Teil deiner Arbeit begreifst. Aber es hat schon etwas davon, dass man sich im Laufe der drei CDs von seinem Instrument verabschiedet. Oder überinterpretiere ich das jetzt?
Jason Kahn:
Ja, allerdings hat Toshi noch eine Solo-CD mit Gitarre gemacht.
Björn Gottstein:
Aha. Die kenne ich gar nicht.
Jason Kahn:
Und er hat auch in Takus Gitarrenquartett Gitarre gespielt.
Björn Gottstein:
Stimmt. Hast du noch engen Kontakt nach Japan? Du wärst doch beinahe mal nach Tokio gezogen?
Jason Kahn:
1998 war ich sogar nach Tokio gezogen, aber meine damalige Frau wurde schwanger und sie wollte nicht bleiben, und so sind wir zurückgegangen in die Schweiz. Ob ich noch Kontakt habe? Es wird zunehmend weniger. Das ist die Frage. Ich weiß es auch nicht. Ich war so oft da. Vielleicht zehn mal und habe sogar kurz dort gelebt. Ich kann es nicht sagen; es interessiert mich im Moment nicht so, auch was da raus kommt in der neuen Szene, das interessiert mich nicht so. Ja, ich war letztes Jahr da im September und habe zwei CDs aufgenommen und ich war vorletztes Jahr auch da auf Tournee zwei Wochen lang. Und ich denke nach dieser letzten Tournee, das war sehr intensiv, vielleicht zehn Konzerte, da habe ich gedacht, OK, jetzt habe ich alles gesehen, was ich sehen möchte von Japan. Erst einmal.
Björn Gottstein:
Ich habe unglaublich viele Platten hier, deshalb ist das fast schon ein Gehechele, weil ich gerne über jede Platte reden würde. Ich würde auf jeden Fall gerne etwas zu zwei Kollaborationen mit amerikansichen Musikern was fragen, die eine ist mit Steve Roden und Jason Lescalleet. Das sind zwei Musiker, die eher vom Konzeptionellen herkommen, vor allem Steve Roden, der ja eher von der Klangkunst kommt. Ist die Kollaboration mit ihm auch eine Konzeptarbeit gewesen?
Jason Kahn:
Das ist entstanden auf eine Einladung damals eines Orts in Nijmegen namens Extrapool. Das ist so eine Art Residency und Steve und ich haben uns dort getroffen, um drei Tage lang im Studio zu arbeiten. Wir haben uns nicht abgesprochen. Das war keine konzeptionelle Arbeit. Steve ist interessant, weil er ist, wie du erwähnt hast, ein Konzeptkünstler. Er arbeitet sehr oft mit Richtlinien und Paramtern und so weiter, Konzepten. Aber als Klangkünstler ist er sehr interessiert am Klang an sich. Und in unserer Arbeit stand das im Vordergrund, dass wir uns beide sehr für Klang interessiert haben. Und wir haben dann wirklich gar nichts abgesprochen. Wir waren im Studio und haben ein Konzert gegeben. Und aus diesem Material habe ich die Stücke komponiert oder zusammengeschnitten.
Björn Gottstein:
Die Arbeit mit Jason Lescalleet, Red Room, da gibt es aber schon eine Ausgangsidee.
Jason Kahn:
Das ist die Liveaufnahme eines Konzerts. 45.55 Vielleicht im Nachhinein könnte man das als Konzeptarbeit sehen. Wir wollten was veröffentlichen. Es war nicht so sehr ein Konzert, als eine Art Feststellen eines Ortes. Und das war Red Room, ein Ort in Baltimore. Und wir wollten das Konzert demystifizieren vielleicht, und einfach sagen: das ist Klang in einem Raum, er wurde zu diesem Zeitpunkt abgespielt und auch zu diesem Zeitpunkt fanden andere Klänge statt: draußen Sirenen oder Leute reden im Publikum. Das war einfach sozusagen eine nackte Offenbarung unseres Daseins in the Red Room. Das war überhaupt nicht vorher abgesprochen, aber es war klar, sobald wir die Aufnahme gehört haben.
Björn Gottstein:
OK. Gut. Ihr habt dort gespielt und zwar die Instrumente, die hier angeben sind, du mit Percussion und Analogue Synthesizer ...
Jason Kahn:
... genau, eins zu eins, ohne Abmischung oder irgend etwas.
Björn Gottstein:
Der Analogsynthesizer ist neben dem Computer auch ein recht wichtiges Instrument? Verfolgst du da einen bestimmten Ansatz? Ich habe das Gefühl, dass deine Stücke oft, ich will nicht sagen: linear sind, aber eher eine fließende Klangsituation, als dass du jetzt mit hektischen Schnitten arbeitest. Kommt der Analogsynthesizer dir da entgegen?
Jason Kahn:
Nicht unbedingt. Ich habe angefangen mit dem Analogsynthesizer als ich mal bei Kevin Drumm in Chicago gewohnt habe und er hatte einen und er hat ihn mir gezeigt und ich habe gedacht, mh, das ist interessant. Mit dem Computer live spielen, da war ich unzufrieden. Ich wollte einen eher direkten Zugang zum Instrument oder zum Klang und mit dem Computer fühlte ich mich immer eine Taste weit weg von dem, was passiert. Und da habe ich irgendwann einen kaufen können und ich fand es viel angenehmer mit dem Synthesizer zu arbeiten, obwohl ich immer noch mit dem Computer arbeite für Komposition. Aber was meine Kompositionsästhetik betrifft, wie du meinst, linear und dicht vielleicht und eher statisch. Das hat weniger mit dem Instrumentarium zu tun, als mit was ich sagen möchte. Und das ist: die Kompositionen erscheinen oft sehr statisch. Es passiert oder man würde denken, es passiert gar nichts oder sehr wenig. Aber es vielleicht, dass ich sagen möchte, wenn man die Sachen ein bisschen näher beschaut, findet man viel Detail oder viel Information. Heutzutage sind wir eher beim Wegschauen, es passiert zu viel, zu viel Input halt. Wir wollen nicht schauen. Wir wollen die Augen zumachen oder die Ohren zumachen; es ist überall Radio, Plakate, Werbung und so weiter. Und ich habe das Gefühl, zumindest für mich persönlich, die Kompositionen, sie sind eine Art Auszeit von was draußen passiert. Und für mich ist es, wie wenn man in einen Baum schaut, und man sieht zuerst nur lauter Blätter, und dann schaut man länger und länger, und dann sieht man einen Vogel oder der Wind bläst durch die Blätter. Und man sieht immer mehr Detail und ich möchte dabei auch komponieren, dass man tiefer in die Sachen hinein schaut.
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